Hab mir das Kleinod gestern abend endlich mal angesehen und mich spontan geärgert, dass ich selbiges nicht schon früher getan habe… andererseits tut man vielleicht die Dinge immer genau dann, wenn es sein soll? Schon möglich. Jedenfalls hatten sich mit mir und „Lost In Translation“ gestern abend zwei gesucht und gefunden… 😉
Ok, einen Film, der mit einer schönen langen Großaufnahme von Scarlett Johanssons Hintern beginnt, kann man eigentlich nicht anders als spontan lieb haben – aber auch der Rest der 90 Minuten ist sehr sehenswert. Der Film kommt ganz leise angetappst, führt schon fast ein bisschen schüchtern seine beiden Hauptcharaktere ein und entfaltet dann seine schlichte, aber dennoch alles andere als langweilige Geschichte mit der Ruhe und Präzision einer japanischen Tee-Zeremonie.
Da ist Bob, ein alternder Filmstar, der nach Japan gereist ist, um Werbung für japanischen Whisky zu machen. Und Charlotte, eine junge Frau ohne rechtes Ziel im Leben, die quasi zum Reisegepäck ihres Ehemanns geworden ist, der durch Japan vagabundiert, um Rockbands zu fotografieren. In schon fast tragikomischen Episoden wird die Schickimicki-Welt, in der sich beide bewegen, in ihrer ganzen Albernheit demontiert und als Gefängnis mit unsichtbaren Gitterstäben inszeniert, an denen sich die beiden Protagonisten frustriert die Nase plattdrücken. Beide spüren: „Es muss noch mehr geben da draußen. Das hier drin ist nicht das Wahre.“ Beide irren als Gaijin durch ein völlig unverständliches Japan, das in seiner Gesamtheit zum Symbol wird für die Fremde, in der wir uns einen großen Teil unseres Lebens zu bewegen gezwungen sind. Schönste Szene ist für mich, wenn seine Auftrageber dem völlig verwirrten Bob in der irrigen Annahme, ihm damit einen Gefallen zu tun, ein japanisches Callgirl aufs Zimmer schicken, das wohl aus nicht näher erläuterten Gründen annimmt, er stünde auf Vergewaltigungsphantasien. So steht sie denn vor ihm, hält ihm ihren bestrapsten Oberschenkel entgegen und verlangt immer wieder: „Lupf mein Schlumpf!“ Für mich ein heimliches Glanzlicht der Kinogeschichte! Und so ähnlich ist irgendwie alles, was den beiden widerfährt: Es wird viel geredet, obwohl niemand wirklich was versteht, Dinge passieren, die man nicht vernünftig interpretieren kann, aber niemand sieht sich genötigt, deshalb damit aufzuhören. Alles ist bunt, grell, bedeutungslos, der eigentliche Sinn des Ganzen, so es denn einen geben sollte, ist eben „lost in translation“ – der Übersetzung zum Opfer gefallen. Stranger in a strange land…
Der Film zelebriert die Leere und Verlorenheit der beiden Figuren in aller Ruhe, lotet die Tiefen ihrer Einsamkeit aus und lässt sie einen ganz langsam liebgewinnen, bevor er die beiden das erste Mal wirklich aufeinander treffen lässt. Und von diesem Moment an wird die Geschichte lebendig, der Rhythmus kommt in Fahrt, der Soundtrack erblüht in neuen, lauteren, schrägeren Tönen – auf einfachste Weise wird klar gemacht, dass hier etwas neues entsteht, das vorher gefehlt hat: Austausch. Nähe. Bewegung. Aus Leere wird … Etwas. So wie man zwei Drähte für einen Stromkreis braucht, so ergeben die beiden Figuren zusammen plötzlich … Leben.
Und es ist abwechselnd tragisch, komisch, rührend und deprimierend, wie diese beiden grundverschiedenen Menschlein allmählich miteinander (wieder)entdecken, wie es sich anfühlt, wenn etwas oder jemand Bedeutung bekommt, und versuchen damit umzugehen. Am Ende steht – zum Glück – kein hollywoodtypisches Happy End, sondern vordergründig der Verlust des gerade erst Gewonnenen. Doch gerade, wenn man schon denkt, der verschämte Händedruck in der Hotel-Lobby sei tatsächlich alles, was an Abschied passiert, rafft Bob sich noch einmal auf, und man spürt, dass die ganze Geschichte von Anfang an auf diese eine Umarmung, auf diesen einen unschuldigen Kuss hingearbeitet hat. Dieses erste und letzte Mal, wenn kein Blatt Papier mehr zwischen die beiden passt, bevor sie – vielleicht für immer – wieder getrennte Wege gehen, in ihre jeweiligen Zellen zurückkehren, um dort den Rest ihres Daseins zu absolvieren. Wieder ohne den anderen, aber trotzdem reicher als vorher. Denn vielleicht liegt gerade in diesem Abschied am Ende der Gewinn. Die Erkenntnis, dass es manchmal besser ist, von etwas wegzugehen, damit man sich in Ruhe daran erinnern kann…
Letzten Endes ist „Lost in Translation“ wohl einfach nur die Geschichte zweier Menschen, die sich zufällig begegnen und dann nach und nach einen Fußabdruck im Herzen des anderen hinterlassen – was trotz der äußeren Schlichtheit des Geschehens eines der großartigsten Dinge ist, die einem Menschen widerfahren können. Erzählt in wunderbar unhektischen Bildern von schon fast dokumentarisch anmutender Zurückhaltung. Das ist kein überspanntes Event-Movie-Brimborium mit Zuckerwattesoundtrack und dümmlicher Meg-Ryan-Romantik, sondern einfach nur ein feiner, kleiner Film von ausgesuchter Erzählkunst, der mich qua Abspann lächelnd und nachdenklich zurück ließ – es sind eben meistens doch die leiseren Töne, die uns am ehesten berühren. Bei mir jedenfalls hat es geklappt. Daher meine Empfehlung: Anschauen. Mitfühlen. Und am Ende lächeln. 🙂